Einerlei: Edward Snowden opfert sich

Zur Zeit überschlagen sich die großen Themen in den deutschen Medien: Vor allem das Hochwasser in Deutschland ist wirklich schlimm! Die Bürgerproteste auf dem Taksim-Platz in Istanbul, dann noch das Drohnen-Debakel der Bundeswehr, danach kommt Apples Entwicklerkonferenz WWDC mit seinem neuen iOS 7 und noch so dies und das. In der zweiten Reihe dieser Nachrichtenriege aber – immerhin! – erscheint die Geschichte vom tapferen Edward Snowden, dem Whistleblower, der schier Unglaubliches zu Tage getragen hat. Und das, was er zu erzählen hat, wird uns zukünftig noch mehr beschäftigen, uns unserer Lebensgrundlage berauben sowie unser Geld kosten als die anderen genannten Tragödien und Gadgets zusammen; wenn nichts dagegen unternommen wird!

Für mich gehört diese Schlagzeile eigentlich an die oberste Stelle, aber die Dimension des Verbrechens eines amerikanischen Geheimdienstes wird anscheinend nicht so stark wahrgenommen, so wie ich es empfinde. Da erdreistet sich tatsächlich eine Nation – oder mit England und Kanada anscheinend noch weitere -, mit Hilfe eines Software-Programms namens Prism und dem Zugriff auf alle online aktiven Server und Kommunikationssysteme in den USA alle verfügbaren Informationen zu kombinieren und auszuspähen. Mit Hilfe der Daten der global agierenden Marktführer wie Google, Facebook, Apple, Microsoft (Skype), Yahoo, Ebay etc. kann die NSA (National Security Agency) im Privatleben aller Personen herumschnüffeln, die sich auf deren Plattformen tummeln. Und das sind nicht nur amerikanische Bürger, die ihre Regierung selbst gewählt haben, sondern wir alle, die sich irgendwie im Netz bewegen.

Gib mir einen Namen und ich finde alles über die Person bis zum letzten Passwort und Zahnfleischbluten heraus! Nach diesem Motto hat der amerikanische Präsident das Geheimdienstprogramm unter dem Deckmantel „Terrorismusbekämpfung“ weiter ausarbeiten lassen. Der Friedensnobelpreisträger Obama hat hierdurch den Schlüssel zu fast allen unseren Haustüren, kann jederzeit eintreten, unsere intimsten Geheimnisse erfahren, sie preisgeben und verdrehen, wenn es ihm nützt. Wir sind dadurch komplett manipulierbar geworden. Und wenn er das kann, dann kann dies fortan jeder Verbrecher, der an das Programm herankommt. Natürlich hatten wir schon vorher gewusst, dass es so durchzuführen wäre, wenn man nur wollte. Nur hätten wir nie gedacht, dass sich ein demokratischer Staat in diesem Ausmaß über die Privatsphäre aller Menschen hinwegsetzen würde und wie ein gemeiner Einbrecher über jede virtuelle Türschwelle treten würde. Pustekuchen, schön geirrt! „Yes, we can!“ einmal anders aufgefasst.

Für diese neue Erkenntnis hat ein junger Mann sein ganzes Leben, seine Lieben und seinen Komfort aufgegeben. Er ist nun Freiwild für den amerikanischen Staat, für die Geheimdienste und die rechten Politikkreise geworden. Er wird in aller Form unglaubwürdig gemacht werden, seine Integrität wird in Frage gestellt. Vielleicht wird man auch versuchen, wenn alles nicht hilft, ihn für verrückt erklären zu lassen. Das Vergehen, dessen man ihn beschuldigen wird, wird im Ausmaß bei weitem das übersteigen, was es nach rechtsstaatlichen Prinzipien eigentlich gewesen ist. Man wird ein Exempel statuieren wollen und ihn um das Zehnfache höher dafür büßen lassen, was normalerweise ein Vertrauensbruch an Strafverfolgung nach sich zieht. Er wird in jedem Winkel der Welt gejagt werden, sich nirgendwo mehr sicher fühlen und in Gelassenheit aufhalten können. Aus jedem Land, in dem er sich versteckt hält, kann er entführt oder dort direkt exekutiert werden, nur um ihn der „gerechten Strafe“ zuzuführen. Das ist kein Hirngespinst: in anderen Fällen hat der amerikanische Staat auf diese Weise bereits agiert.

Dies wird ganz einfach geschehen, weil die Wut der eigentlich Schuldigen und Ertappten so groß ist. Die Agitatoren sind getrieben von Scham, bei einer Ungeheuerlichkeit erwischt worden zu sein, und gleichzeitig von Arroganz, sich über die Menschenrechte auf der Welt erheben zu können. Selbstherrlich wird das Vorgehen gerechtfertigt und für eine gute Sache erklärt werden. Hiergegen gilt es mit allem Nachdruck vorzugehen.

Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit nannte man diese Vorgehensweise „für vogelfrei erklären“, jedermann durfte dann eine Person straffrei töten. Martin Luther widerfuhr einst dieses Schicksal, weil er gegen die katholische Kirche aufbegehrte, und nur durch den Schutz eines Fürsten konnte er überleben. Snowden hat lediglich auf den impertinenten Diebstahl unserer Privatsphäre aufmerksam gemacht und sich dadurch selbst in Gefahr begeben. Er opfert sich bewusst, damit dieses Vergehen durch die NSA aufhört. Was für ein existenzbedrohender Schritt und welch ein Mut des Amerikaners! Der Konsequenzen scheint er sich aber zumindest bewusst zu sein.

Allein in der deutschen Historie gibt es ein paar Persönlichkeiten, z.B. aus dem Widerstand gegen Nazi-Deutschland, die ebenfalls Mut zu einem solchen Schritt bewiesen und ihr Leben zum Opfer gegeben hatten. Sie töteten zum Teil, um dem millionenfachen Töten ein Ende zu bereiten. Leider scheiterten sie gnadenlos. Edward Snowden hat nicht getötet. Er machte sich des Vertrauensbruchs schuldig, um den fortlaufenden und immer weiter ausufernden Vertrauensbruch der NSA und des amerikanischen Staates gegenüber der Weltbevölkerung zu beenden. Ob er auch so grandios scheitert, wird sich erst zeigen.

Ich ziehe diesen Vergleich, um deutlich zu machen, dass das Ausspähprogramm kein Kavaliersdelikt ist. Kein noch so grausamer Terrorismus kann Grund sein, die Persönlichkeitsrechte von Milliarden von Menschen zu missachten. Hierfür müssen schlicht und einfach demokratisch legitimierte Maßnahmen nach rechtsstaatlichen Prinzipien genügen.

Wir wissen jetzt über das verbrecherische Spähprogramm Prism der USA Bescheid. Wie gehen wir damit um? Lassen wir Edward Snowden allein im Regen stehen oder erweisen wir ihm unseren Dank durch unsere Unterstützung? Die Bundesrepublik sollte sich ernsthaft dafür einsetzen, Snowden Asyl in Deutschland und damit in ganz Europa zu gewähren. Bei einem Auslieferungsantrag der USA sollte er keinesfalls ausgeliefert werden. Ganz Europa profitiert unmittelbar von den Informationen durch den ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter. Durch ihn können wir Gegenmaßnahmen gegen diese Eingriffe auf unsere Informationsfreiheit einleiten. Die deutsche Geschichte liefert genügend Beispiele dafür, warum die deutsche Bundesregierung Snowden unbedingt Schutz gewähren sollte, so wie es in den Reformationstagen Friedrich der Weise tat, der Luther vor den Häschern schützte, indem er ihn entführen ließ und auf der Wartburg versteckt hielt. Nur muss dies heutzutage nicht mehr heimlich geschehen, sondern mit dem ganzen Selbstbewusstsein der europäischen Gemeinschaft.

Und was sollten wir ganz persönlich unternehmen? Man kann durchaus handeln: raus aus Facebook, Finger weg von Google, Yahoo sowie Dropbox, keine Apple-Cloud verwenden, nicht über Skype telefonieren und so weiter und so fort. Boykotts amerikanischer Internet-Firmen können am Ende mehr bewegen, als ein paar warme Worte von der Bundeskanzlerin Angela Merkel beim anstehenden Treffen mit Präsident Obama. Darüber hinaus sollten wir in Deutschland das richtige Maß ausloten, inwieweit der Staat seine Bürgerinnen und Bürger durch Überwachungsmaßnahmen zu schützen hat und ab wann die Freiheit wichtiger zu werten ist als die Sicherheit. Dieser Diskussion sollten wir uns nicht entziehen und es uns selbst ganz einfach machen, indem wir die Schuld immer nur bei den anderen sehen. Die Antworten auf diese Fragen sind nämlich keineswegs einfach. Präsident Obama sollten wir bei seinem anstehenden Besuch in Berlin nächste Woche entsprechend kritisch empfangen. Ganz persönlich danke ich jedoch Edward Snowden für seine enorme Zivilcourage und bin in Gedanken bei ihm.