Ausflug nach Berlin-Mitte

Letzte Woche, als es noch so warm in Berlin war, besuchte uns wieder Alwin. Er traute sich zwar nicht in die Wohnung rein, aber er unterhielt sich auf dem Balkon mit dem Knutschpapagei und der Liebsten. Ich weiß nicht, worüber sie sich unterhielten – ich konnte sie ja nicht verstehen -, aber sie lachten dabei sehr viel. Es musste demnach sehr amüsant sein.

Gegen späten Mittag meinte ich, dass es mal wieder Zeit für eine Liebesbotschaft für meine Liebste an ihren Arbeitsplatz sei und fragte, ob nicht einer der beiden Knutschboten diese übermitteln wolle. Der Knutschpapagei und die Liebste boten sich beide sofort an und konnten sich nicht sofort einigen, wer diesen Auftrag nun übernehmen solle. Alwin verstand sichtlich nicht, worüber gesprochen wurde, bis die Liebste ihn über ihrer beider Berufung als Knutschbote aufklärte. Das fand Alwin höchst interessant und fragte, ob er einmal dabei sein könne.
„Kein Problem!“ sagten die beiden Papageien, „Lasst uns einfach gemeinsam fliegen.“ Man spürte, wie stolz sie waren, ihre Profession zeigen zu dürfen. Also flogen alle drei gemeinsam los, in Richtung Potsdamer Platz. Prima, diesmal würde die Kussbotschaft für meine Süße extra luxuriös ausfallen, dachte ich mir.

Später erzählten mir die Papageien davon, wie sie zunächst bei meiner Liebsten waren und getan hätten, was ihnen aufgetragen worden war. Sie habe sich sehr über die ausgefeilte Kussbotschaft gefreut, meinten beide zufrieden. Auch darüber, dass sie nun endlich Alwin persönlich kennenlernen durfte. Dieser war zwar nicht mit ins Büro geflogen, sondern hatte höflich vor dem Fenster gewartet und von dort zugeschaut. Meine Frau durfte Alwin aber am offenen Fenster ein Mal über den Schnabel streicheln.

Anschließend wollte Alwin den beiden Knutschpapageien sein in der Nähe befindliches Lieblingsrevier zeigen. Die drei sind also zum Brandenburger Tor und von dort den Boulevard „Unter den Linden“ entlang in Richtung Schlossplatz geflogen. Schließlich erreichten sie das Zeughaus, wo Alwin eine Statue auf dem Dach des Gebäudes ansteuerte und sich auf deren Kopf niederließ. Die Liebste und der  Knutschpapagei taten es ihm auf den daneben befindlichen Skulpturen gleich.

Der Knutschpapagei, die Liebste und Alwin auf dem Dach des Zeughauses

Von diesem erhöhten Ort konnten sie hervorragend das lebhafte Treiben auf der Straße überblicken. Alwin erzählte, dass er häufig hier oben sei und die Menschen beobachten würde. So richtig würde er nicht verstehen, was die dort eigentlich so machen. Die Menschen gingen ganz langsam, würden immer wieder stehen bleiben, ihre Fotoapparate zücken und Fotos von sich und den Gebäuden machen. Normalerweise würden die Menschen doch immer sehr hektisch rennen und sich kaum länger an ein und derselben Stelle aufhalten. Hier sei das jedoch anders. Der Ort müsse also für die Menschen eine magische Ausstrahlung haben, meinte er, warum wisse er allerdings nicht! Es sei ihm letztlich egal. Grundsätzlich gefiele ihm dieser Ort aber auch, zumal hier im ganzen Revier immer sehr viel Futter für ihn abfallen würde: von Bratwürsten und Brötchen, über Pommes Frites bis zu allerlei Kuchensorten. „Lecker!“, sagte Alwin genüsslich.

Häufig würde er sich abends nach einer üppigen Mahlzeit hier in der Nähe mit seinen Artgenossen treffen. Diese kämen aus allen möglichen Teilen der Stadt herbeigeflogen – er selber wohne schließlich ebenfalls bei uns in Friedenau im großen Baum am Ende des Gartens hinter unserem Wohnhaus. Meistens träfen sie sich in den hohen Bäumen in der Breiten Straße. Es gäbe dann immer viel zu erzählen, man tausche sich über die Neuigkeiten in der Stadt aus, würde ein paar Runden in größeren Gruppe fliegen oder auch gelegentlich Streitigkeiten austragen. Es sei auf jeden Fall immer viel los mit großem Radau. Er würde es allerdings am meisten genießen, wenn sie sich in der späten Dämmerung, wenn es ruhiger geworden sei, auf dem Rasen des Schlossplatzes niederließen. Dann seien alle Alwins gemeinsam ganz still und würden nur auf die Geräusche der Stadt hören.

Den Knutschpapageien war die Mitte Berlins natürlich schon längst bekannt. Sie waren bereits tausendmal über diesen Kiez geflogen, um Knutschbotschaften zwischen mir und meiner Frau auszutauschen. Das war damals, als ich ebenfalls dort in der Nähe des Schlossplatzes gearbeitet hatte. Aber jetzt betrachteten die Liebste und der Knutschpapagei diese Plätze und Straßen doch mit etwas anderen Augen; eben mit denen von Alwin. Sie nahmen sich vor, einmal an einer abendlichen Sitzung der Alwins auf dem Schlossplatz teilzunehmen. Sie verabschiedeten sich von ihm und flogen zurück zu mir, um mir die zartesten Küsse von meiner Frau zu überbringen.